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Gerechtigkeit

 

Kants Rechtfertigung des Privatbesitzes am Boden

Die Person ist nicht ohne Leib zu denken. Der Leib ist mit der äußeren Natur verbunden, mit der er im Stoffwechsel steht. Diese Naturnotwendigkeit erfordert es, dass Dinge die Meinigen sind und alle anderen von ihrem Gebrauch oder Verbrauch ausschließen. Spätesten wenn ich Dinge konsumiere, mir einverleibe, sind alle anderen von ihrem Gebrauch ausgeschlossen. Das Mein und Dein als Besitz ist eine Naturnotwendigkeit, im Gebrauch der Dinge realisiert das Individuum auch seine Freiheit. Die Dinge und ihr Besitz müssen, da mehrere darauf Anspruch haben können, rechtlich geregelt werden, damit mir mein Besitz, wenn er rechtens ist, nicht streitig gemacht werden kann. Diese Naturnotwendigkeit, sich Lebensmittel anzueignen, sagt aber noch nichts darüber aus, ob der Besitz aus Konsum- oder Produktionsmitteln besteht, ob es Besitzdifferenzierung geben muss oder nicht, ob ich privaten Besitz an Land benötige oder ob das Land als Produktionsmittel kollektiv genutzt werden soll. Entscheidend bei der Produktion unserer Dinge zum Leben ist dabei der Boden, weil jede Produktion einen Ort braucht, auf dem sie stattfindet.
Kant geht in seiner apriorischen Rechtskonstruktion, welche die Vernünftigkeit des Rechts garantieren soll, von einem „ursprünglichen Gesamtbesitz“ aller Menschen am Grund und Boden aus. Diese Annahme ist notwendig, wenn die Allgemeinheit Privatbesitz legitimieren soll. Will Kant Privateigentum begründen, dann muss er eine „primo occupatio“ rechtfertigen, die ursprüngliche Inbesitznahme eines Stückes Landes. Diese ursprüngliche Inbesitznahme, die alle anderen außer dem Eigentümer vom Gebrauch des Privatlandes ausschließt, muss dennoch durch alle anderen zustimmungsfähig sein, wenn der Privatbesitz durch den Staat als Repräsentant des Allgemeinwillens geschützt werden soll.
„Gegen den Besitz eines Teils der Erdoberfläche durch ein einzelnes Subjekt hat kein anderes mehr die Möglichkeit, sich zur Wehr zu setzen, wenn es als ursprünglicher Mitbesitzer der Erde seine Einwilligung dazu gegeben hat. Das ist dann der Fall, wenn die Besitzergreifung nach einem Gesetz erfolgt, das für alle Subjekte gilt, weil sie es sich selbst gegeben haben. (…) Nur unter Voraussetzung des Gesamtbesitzes sowie des Allgemeinwillens, der dessen Aufteilung nach einem Gesetz will, ist die Verbindlichkeit der einzelnen Akte der Aneignung durch alle gegeben.“ (Deggau: Aporien, S. 109; in Bezug auf Kants Rechtsphilosophie folge ich weitgehend Deggau.)
Mit der Begründung des Privatbesitzes am Grund und Boden wäre jede Art Eigentumsdifferenzierung gerechtfertigt. Dabei ist es für meine Argumentation gleichgültig, ob jemand einen intelligiblen Besitz an Land hat, also einen Eigentumstitel, oder ob er das Land nur empirisch im Besitz hat, also z. B. seine Fabrik auf gepachtetem Land errichtet usw. Die Frage ist, wie kommt jemand dazu, zu sagen, dieses Stück Boden ist mein Privatbesitz, den ich allein befugt bin zu nutzen? Soll das Privateigentum am Boden gesichert sein, dann muss immer schon eine ursprüngliche Aneignung geschehen sein. Doch weder Verträge, die Besitz am Boden immer schon voraussetzen, noch die Garantie durch einen Staat, die ebenfalls die ursprüngliche Erwerbung voraussetzt, kann den Privatboden begründen. Diese obige Frage verweist auf die Aporie der ursprünglichen Inbesitznahme.
„Die Bestimmung eines konkreten Platzes durch den willkürlichen Akt des Subjekts kann aus dem Gesetz nicht hervorgehen. Er ist zufällig. Dazu, daß es diesen empirischen Platz als den seinen behauptet, hat es  keinen Grund als seine eigene Willkür. Für diese kann es kein Gesetz geben. Ihren Akt aber anzuerkennen, ist niemand verpflichtet. ‚Denn der einseitige Wille … kann nicht jedermann eine Verbindlichkeit auflegen, die an sich zufällig ist“ (§ 14, 374).“ (A. a. O., S. 113; das Zitat im Zitat ist von Kant.)
In den Vorarbeiten, die Deggau zitiert, hat Kant diese Aporie der primo occupatio auch zugegeben: Durch einen „Akt der Willkür“ „kann der Boden durch eigenmächtige Besitznahme nicht erworben werden (…) Gleichwohl muß ein Boden ursprünglich … erworben werden können … d. i. die practische Vernunft will daß ein jeder Boden das Seine von jemanden seyn könne“ (zitiert nach Deggau: Aporien, S. 113.)
Durch diesen Gewaltakt der praktischen Vernunft sind zwar die bürgerlichen Eigentumsverhältnisse gerechtfertigt, aber diese Begründung ist nur Schein, da sie als petitio principii die bürgerliche Welt immer schon voraussetzt, die sie durch die praktische Vernunft rechtfertigen will, die dann also nicht apriorisch ist. Kant gesteht diese Scheinrechtfertigung auch selbst ein: „Die Möglichkeit, auf solche Art zu erwerben, läßt sich auf keine Weise einsehen, noch durch Gründe dartun“ (Kant: MS, Rechtslehre § 14, S. 374).
Auch die Verlegung des Aktes der ursprünglichen Inbesitznahme in die ferne Vergangenheit kann diese nicht begründen. Denn es „bleibt immer unausgemacht, welches empirische Subjekt durch welchen Akt der Willkür welches Gegenstandes sich bemächtigen wird. Das Rechtssystem kann immer nur nachträglich als rechtens legitimieren, was bereits geschehen ist.“ (Deggau: Aporien, S. 115)
Auch die Begründung der ursprünglichen Aneignung des Bodens durch Arbeit, wie sie bereits John Locke gegeben hat (Locke: Zwei Abhandlungen, S. 228, § 45), ist nicht haltbar. „Die Arbeit kann aber auch deshalb kein eigentumsbegründender Rechtsgrund sein, weil das Rechtsverhältnis immer ein Verhältnis der Willenssubjekte ist, welches mit dem allgemeinen Willen in Übereinstimmung stehen muß. Die Arbeit als Formung des Gegenstandes steht aber in keiner Beziehung zu dem allgemeinen Gesetz. Durch sie allein wird keine Rechtsbeziehung über Gegenstände zwischen den arbeitenden und den anderen Subjekten hergestellt.“ (Deggau: Aporien, S. 21)
Wie es historisch tatsächlich war, hat Marx  im Kapitel über die ursprüngliche Akkumulation in seiner Kapitalanalyse dargestellt:
„In der wirklichen Geschichte spielen bekanntlich Eroberung, Unterjochung, Raubmord, kurz Gewalt die große Rolle. (…) Die sog. ursprüngliche Akkumulation ist also nichts als der historische Scheidungsprozeß von Produzent und Produktionsmittel. Er erscheint als ‚ursprünglich‘, weil er die Vorgeschichte des Kapitals und der ihm entsprechenden Produktionsweise bildet. (…) Somit erscheint die geschichtliche Bewegung, die die Produzenten in Lohnarbeiter verwandelt, einerseits als ihre Befreiung von Dienstbarkeit und Zunftzwang; und diese Seite allein existiert für unsre bürgerlichen Geschichtsschreiber. Andererseits aber werden diese Neubefreiten erst Verkäufer ihrer selbst, nachdem ihnen alle ihre Produktionsmittel und alle durch die alten feudalen Einrichtungen gebotnen Garantien ihrer Existenz geraubt sind. Und die Geschichte dieser ihrer Expropriation ist in die Annalen der Menschheit eingeschrieben mit Zügen von Blut und Feuer.“ (Marx: Kapital I, S. 742 f.)
Die Leerstelle in der Begründung des Eigentums am Boden bei Kant hat Folgen: „Der Anspruch auf einen Teil der Erdoberfläche hat sich als irreal erwiesen. Die Unmöglichkeit seiner Realisierung ist die Folge der rechtlichen Organisation der Subjekte und der durch sie vermittelten Form der Aneignung der Erde. Das Rechtssystem, das jedem ein Gleiches zu garantieren scheint, macht ‚die Eigentumslosigkeit unbestimmt Vieler in irgendeinem zeitlich bestimmten Augenblick … keineswegs rechtlich unmöglich‘.“ (Deggau: Aporien, S. 114; das Zitat im Zitat ist von Ebbinghaus.) Da das Recht auf private Aneignung keine inhaltliche Grenze hat, Boden kann gekauft werden, kann dies bis zur Monopolisierung des gesamten Grund und Bodens führen und damit „zu der Möglichkeit der Auflösung seiner (des Rechts, BG) selbst, enthält also in sich seine Negation“ (Ebbinghaus, zitiert nach Deggau, a. a. O., S. 114 / Anm. 40). Damit aber kann die kantische (und bürgerliche) Rechtskonstruktion nicht die Bedingung der Möglichkeit sein, das Sittengesetz zu realisieren – im Gegensatz zu Kants Anspruch. Kants Begriff der Gerechtigkeit, der an das Sittengesetz gebunden ist und im bürgerlichen Recht seine Gestalt der Realisierung haben soll, wird problematisch.
Wenn der gesamte Besitz monopolisiert ist bei einem Einzelnen oder einer kleinen Gruppe von Oligarchen, dann gibt es kein Mein und Dein mehr, das Grundlage der bürgerlichen Gesellschaft sein soll, und „der Mensch, der kein andres Eigentum besitzt als seine Arbeitskraft“, wird „der Sklave der anderen Menschen (…), die sich zu Eigentümern der gegenständlichen Arbeitsbedingungen gemacht haben“ (Marx: Kritik des Gothaer Programms, S. 15)

Eine Anmerkung zur praktischen Philosophie Kants


Damit ich nicht falsch verstanden werde, eine allgemeine Anmerkung zu Kants praktischer Philosophie: Die Methode von Kurzdenkern besteht darin, bei einem Philosophen Fehler oder Aporien sich erzählen zu lassen und dann zu sagen, aha, falsch, also weg damit, diese Philosophie funktioniert nicht. Nun gibt es keinen Philosophen, der nicht auch Fehler gemacht hat; nach dieser Argumentation von Kurzdenkern müsste man dann das Prinzipiendenken, das Philosophie darstellt, ganz aufgeben, und sich den unmittelbaren Problemen widmen, d. h. in der antagonistischen Gesellschaft verstrickt bleiben, ein Teil des falschen Ganzen sein. Damit werden aber die Katastrophen, die aus der antagonistischen Gesellschaft erwachsen, in die Ewigkeit prolongiert bis zum Untergang der Spezies Mensch.

Das vernünftige Verhältnis zu den Fehlern vergangener Philosophen ist es jedoch, diese nicht nur als Ausdruck subjektiver Schwäche des Denkers zu betrachten, sondern als Problem der Sache, hier bei Kant der bürgerlichen Gesellschaft und ihres Rechts. Denn die falsche Rechtfertigung der primo occupatio ändert ja nichts daran, dass dieses bürgerliche Recht weiter besteht. Es ist geradezu die Stärke Kants, seine Aporien zuzugeben und auch die Konsequenzen daraus nicht wegzubügeln. Nur aus der Negation des Falschen lässt sich das Wahre im Bereich der Prinzipien erkennen, so sind die Aporien Kants notwendige Bedingungen der Wahrheit heutiger avancierter Vernunft. Das lässt sich an Kants Erörterung des Arbeitsvertrages zeigen. Gerade Kants Moralphilosophie, trotz ihrer Aporien, gehört zu dem Bleibenden seiner Philosophie. Rechtlich ausgedrückt soll man sich danach „nicht zum bloßen Mittel“ für andere machen, „sondern sei für sie zugleich Zweck“ (Kant: Rechtsphilosophie, S. 344). Wie ist dann ein Arbeitsvertrag zu rechtfertigen, in dem der Mensch einen Teil von sich, sein Vermögen zu arbeiten, verkauft?

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Die Aporien des Arbeitsvertrages

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


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